Rolf Rehe arbeitete an der Herron School of Art, USA. Er ist ein international tätiger Zeitungsdesigner, dessen Arbeit ihn bisher in 32 Länder auf allen Kontinenten geführt hat. Zu seinen Neugestaltungen gehören vor allem Tageszeitungen in den USA, Südamerika und in vielen Ländern Europas.
Rehe absolvierte nach Beendigung der Schulzeit eine Ausbildung zum Schriftsetzer beim Haller Tagblatt. Ende der fünfziger Jahre entschloss er sich, in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Dort studierte er visuelle Kommunikation an der Indiana University und arbeitete anschließend zehn Jahre ebendort als Professor. 1979 war er Gründungsmitglied der Society for News Design (SND). Ab 1982 veranstaltete er Seminare zum Thema Zeitungsdesign in Zusammenarbeit mit der IFRA in Darmstadt. Heute lebt Rehe in Wien.
Bereits letztes Jahr 2018 bin ich auf der Frankfurter Buchmesse gewesen, um die Verlagswelt kennen zu lernen und mich weiter im Bereich Buchgestaltung vernetzen zu können. Dabei habe ich die Bekanntschaft mit den Schriftgestaltern von „Monotype“ gemacht. Dieses Jahr beschloss ich, für meine Bachelorarbeit das »typografische Manifest.«, dort ebenfalls mein Glück zu versuchen und neue interessante Ansätze zu sammeln. So startete ich munter und motiviert am Morgen des 18.10.2019 zum Hauptbahnhof Hannover, wo ich den Zug um 04:00 Uhr nach Frankfurt am Main nehmen wollte, welcher jedoch ausgefallen war. Etwas geknickt, jedoch mit voller Motivation, nahm ich einen ICE später und war somit um 10:30 Uhr in Frankfurt am Main und schlug den direkten Weg zur Frankfurter Buchmesse ein.
Dort angekommen, atmete ich erstmal tief durch und verschaffte mir einen Überblick. Mein erstes Anlaufsziel war die Halle 4.1. Dort suchte ich die Typonerds von „Monotype“ in diesem Jahr vergeblich. Um mich aufzuheitern, durchstöberte ich am Indiecon Island Stand die dort liegenden Magazine, welche immer sehr interessant gestaltet sind. Hier kam ich ins Gespräch mit Andreas Hüllinghorst, der für die Tageszeitung „Die Junge Welt“ arbeitet und tauschte erste Informationen mit ihm aus. Anschließend fand ich ein ruhiges Plätzchen am Stand der Stiftung Buchkunst, wo ich mir weitere Bücher anschaute. Da erblickte ich den Stand vom Leipziger Buchdruckmuseum, welchen ich mit forschen Schritten aufsuchte. Während ich mich noch grübelnd vom Stand beeindrucken ließ, wurde ich von einer Dame angesprochen, welche an diesem Stand arbeitete. Sie stellte sich mir als Direktorin Dr. Susanne Richter vor und ist die Leiterin des Leipziger Buchdruckmuseums. Ich erzählte ihr, dass ich jeden Mittwoch in Hannover im Buchdruck Museum arbeite. In diesem Zusammenhang berichtete ich ihr von meinem Buch „Die schwarze Kunst“, welches über die dortige Arbeit, das alte Handwerk des Bleisatzes erzählt, sowie den Erhalt dieses Wissens. Dies fand sie sehr spannend, da sie es selber besonders wichtig findet, dass dieses Wissen weiter erhalten bleibt und an nachfolgende Generationen weitergegeben wird.
Nach diesem Gespräch startete ich mit neuer Energie und neuem Ziel weiter meine Suche. Kurz darauf entdeckte ich – versteckt an einem kleinen, unscheinbaren Stand, der umringt von vielen bunten, zu Bildern geformten Holzbuchstaben bestand – eine Person: Rolf Rehe. Ich erzählte ihm kurz und kompakt von meiner Bachelorarbeit und fragte ihn direkt nach einem Interview für diese. Rolf Rehe war sofort begeistert und wir verabredeten uns für 16:00 Uhr. Schlauerweise hatte ich mein gesamtes Audioequipment eingepackt, sodass dies, von meiner Seite aus, sofort hätte starten können. Ich nutzte die mir noch verbleibende Zeit, um mehr über ihn in Erfahrung zu bringen und recherchierte auf meinem Smartphone die wichtigsten Daten und Fakten. Während ich am Testen meines Mikrofons war, letzte Einstellungen vornahm, setzte sich eine Dame zu mir, welche sich als Frau Elisabeth Pfisterer, Sprachwissenschaftlerin und Fördermitglied des Klingspor Museums aus Offenbach, vorstellte. Wir kamen schnell ins Gespräch und ich erzählte ihr von meiner Bachelorarbeit und was dahintersteckt. Während unseres Gesprächsabschlusses, lud sie mich auf eine heutige Abendveranstaltung im Klingspor Museum ein, welcher ich zusagte. So verflog die Zeit und als wir unser Gespräch beendeten, war ich noch mehr bestärkt darin, meine Bachelorarbeit als Manifest zu verfassen.
Nun nahm ich meine Recherche zu Rolf Rehe wieder auf und stieß glücklicherweise auf einen Wikipedia Eintrag von ihm. Somit hatte ich in kürzester Zeit seinen gesamten Lebenslauf zur Hand und konnte mir dazu passend Fragen für das in Kürze stattfindende Interview zurecht suchen …
SM
Rolf Rehe arbeitete an der Herron School of Art in den USA. Er ist ein international tätiger Zeitungsdesigner, dessen Arbeit ihn bisher in 32 Länder auf allen Kontinenten geführt hat. Zu seinen Neugestaltungen gehören vor allem Tageszeitungen in den USA, Südamerika und in vielen Ländern Europas.
Hallo Rolf! Schön, dass du heute hier auf der Frankfurter Buchmesse bist, wo wir uns kennengelernt haben. Meine erste Frage lautet, ob Zeitung auch noch im Print Bereich bestehen muss oder eigentlich nur noch ein digitales Produkt werden wird?
RR
Ja, es gibt ja diesen Slogan: „Print is dead. Print is not dead and print will never die.“ Bei Zeitungen gehen die Auflagen überall zurück, da ist gar kein Zweifel. Ich sehe es so, dass Zeitungen mehr interpretativ werden, denn im Fernsehen oder im Web kann man Nachrichten sofort erhalten. Die Distanz der Zeitung zum Bestehenden ist zu groß, denn sie muss ja gesetzt und gedruckt werden. Aber ich glaube, es wird zwei Arten von Zeitungen geben, die weiter bestehen bleiben: Zum Einen die etwas intellektuelleren Zeitungen und dann wahrscheinlich auch Boulevardzeitungen, wahrscheinlich in letzterem Fall in Form von Gratiszeitungen.
SM
Aha, in denen dann wahrscheinlich Werbung abgedruckt ist, damit es sich refinanzieren kann.
RR
Ja, durch Werbung finanziert.
SM
In meiner Arbeit das »typografische Manifest.« habe ich auch eine These zu diesem Bereich und zwar: „Schrift ist Information.“ Wie siehst du das? Eine Zeitung ist ja ein reiner Informationsträger.
RR
Naja, die Zeitung braucht zwei Dinge in der Gestaltung: einerseits muss sie so einladend gestaltet sein, dass man wirklich in die Seite einsteigen und sie lesen will und dann muss die Schrift maximal lesbar sein. Es ist wichtig, dass man eine sehr gute Schrift, eine spezielle Zeitungsschrift sorgfältig auswählt und vor allem auch die Schriftgröße nicht zu klein ist.
SM
Das ist interessant, denn meine zweite These lautet: „Schrift ist Funktion oder muss funktional sein.“ Das beschreibt genau das, was du sagst. Sie dient einem bestimmten Zweck. Ich habe festgestellt, dass es auch Schriften gibt, die ökologisch sind. Das heißt, dass mit diesen Schriften Druckertinte eingespart werden kann. Ist das interessant für eine Zeitung, auch wirtschaftlich gesehen?
RR
Das glaube ich nicht, denn die Einsparung ist minimal. Mir fällt da eine kleine Anekdote ein, dass die Zeitung »New York Times« viele Jahre lang traditionsgemäß als Namenszug „The New York Times.“ mit einem, den Satz abschließenden, Punkt hatte. Da wurde lange in der Zeitungsredaktion diskutiert, ob man diesen Punkt weglassen sollte. Es waren nicht alle dafür, aber die Befürworter, dass man den Punkt weglassen sollte, haben argumentiert, dass man dadurch Druckerfarbe sparen würde. Aber die Einsparung ist natürlich so minimal, dass dieses Argument keinen richtigen Wert hat.
SM
Schon fast banal.
RR
Ja.
SM
Wenn ich mir die Schriftentwicklung so ansehe, fällt mir auf, dass die Minuskel damals zu Zeiten der Römer und Griechen sich weiterentwickeln musste. Ich habe festgestellt, dass es daraufhin immer mehr Auszeichnungen, also Kursivschrift, Unterstrichen, Bold, Light, verschiede Schrift-Schnitte etc. gab. Wie wichtig sind diese typografischen Hervorhebungen für die Zeitung, insbesondere für die Information, die damit herausgearbeitet und dadurch fokussiert werden kann? Wie wichtig sind dir Auszeichnungen im Zeitungssatz?
RR
In der Zeitung sind sie wichtig. Wir müssen natürlich unterscheiden zwischen Boulevardpresse, Bildzeitung… Aber eine seriöse Zeitung braucht vielleicht eine fette Schrift, damit man zum Beispiel im Text etwas Fettes oder ein Zitat herausstellen kann. Kursiv kann man auch verwenden, aber es gibt Untersuchungen, dass kursiv schlechter lesbar ist. Und Unterstreichungen würde ich persönlich nicht benutzen. Ich finde sie nicht anklingend oder ansprechend für das Auge, aber es ist schon wichtig, dass man lange Textwüsten vermeidet.
SM
Im Bleisatz sagt man klassischerweise ja auch Bleiwüsten dazu.
RR
Zwischentitel und vor allem auch Absätze sind wichtig. Es gibt Lesbarkeitsstudien, die zeigen, dass Absätze wichtig sind, was ja auch Sinn macht. Wenn ich eine ganz lange Spalte ohne einen Absatz habe, dann ist das nicht so ansprechend. Bei einem Absatz wird ja meist in einer nicht gefüllten Zeile Weißraum erzeugt. Weißraum ist auch sehr wichtig.
SM
Die erste Zeile wird oft mit einem Geviert eingerückt.
RR
Genau, so ist es.
SM
War es früher auch im Bleisatz so?
RR
Der Einzug ist sehr wichtig. In der Typografie sind so viele kleine Dinge wichtig und ein eingeführter Einzug am Anfang eines Absatzes ist sehr wichtig und schafft dadurch einen Weißraum für das Auge.
SM
Du hast ja damals eine Ausbildung als Schriftsetzer absolviert und ich habe mich jetzt ganz viel mit Schrift auf Displays beschäftigt. Das heißt, die müssen ja auch noch einmal speziell angepasst werden, zum Beispiel um Informationen von „Die Zeit“ etc. der digitalen Zeitung anzuzeigen und damit zu agieren. Wie hat sich die Schrift im Laufe der Zeit verändert?
RR
Naja, im Wesentlichen hat sich die Schrift bemerkenswerterweise nicht dramatisch verändert. Gehen wir zurück zu Gutenberg, der zunächst Frakturschriften verwendet hat, weil er die handgeschriebenen Bücher der Mönche so nachvollziehen wollte. Dann kamen früher oder später die Antiquaschriften, Franzosen, Germanen und Italiener und so weiter. Diese Schriften sind von den Grundzügen her noch genauso schön und genauso funktionell wie damals. Heute kann man die Buchstabenzwischenräume etwas enger machen, wenn gewünscht. Man kann die Schrift digital etwas verengen und so weiter. Die klassischen Antiquaschriften gehen auf die Zeit nach Gutenberg zurück, aber auch die Römer hatten schon eine bekannte „Trojanische Kolumne“, in der sie auch schon Schriften verwendeten. Das war allerdings nur Versal, aber sie sind auch heute noch so schön wie damals. Und für manche Schriften-Designer sind sie Vorbilder.
SM
Auch Inspirationsquelle: Man guckt ja auch, was es gab, was es heute gibt etc. pp. Ich würde dir gerne einen haptischen Buchstaben geben. Nimm den bitte in die Hand und beschreibe, was du dabei spürst und was du darüber denkst.
RR
Zum einen ist es ein schöner Holzbuchstabe, ein kleines „c“. Aber ich finde im Vergleich zu den Bleibuchstaben, die ja in der Bleisatzzeit prävalent waren, hat das Holz eine Wärme, es hat eine Ausstrahlung. Es hat vom Material her eine gewisse Emotionalität, die Bleisatzbuchstaben, aus meiner Sicht, nicht haben. Deswegen mache ich ja meine Holzbuchstaben-Collagen und Buchstabenbilder, weil ich dieses Gefühl der Wärme, das Emotionelle vom Holz sehr schätze.
SM
Und sie sind natürlich auch deutlich wärmer, wenn sie in der Hand liegen. Ich habe im Buchdruck Museum eine Diskussion darüber geführt, dass Holz ein Naturstoff ist, der immer noch arbeitet und sich verändert. Wir haben vor kurzem neue Buchstaben bekommen, die etwas feucht waren und dann ganz vorsichtig nachgetrocknet werden mussten, damit sie zum Beispiel nicht reißen.
RR
Die Holzbuchstabenproduktion kommt ja grundsätzlich aus den USA. Gutenberg hat zwar schon mit Holzbuchstaben experimentiert, aber eigentlich hat die Holzbuchstabenzeit im 19. Jahrhundert in den USA angefangen. Und aus den unterschiedlichen Hölzern, aus denen man die Holzbuchstaben machte, wurden zunächst Blöcke hergestellt, die ganz früher für zwei Jahre noch in der Natur draußen getrocknet wurden. Auch später musste ein guter Holzbuchstabe im Raum immer noch ein Jahr getrocknet werden. Ich habe mal vor einiger Zeit einen großen Holzbuchstaben von 30 bis 35 Zentimeter in England gekauft, bei dem man gemerkt hat, dass er nicht lange genug getrocknet wurde, denn er war ein bisschen gebogen. Das Holz hat sich nach der Herstellung des Buchstabens, wie du gesagt hast, noch bewegt.
SM
Mein »typografisches Manifest.« ruft dazu auf oder fordert alle auf, den zweidimensionalen Raum am Monitor zu verlassen, also wieder in den dreidimensionalen Raum zu gehen, gerade auch mit diesen physischen Buchstaben. Wie siehst du das heutzutage, auch im Hinblick auf die Studierenden im Grafikdesign oder der Visuellen Kommunikation?
RR
Wie meinst du das?
SM
Würdest du Studierenden heutzutage empfehlen, wieder mit „Woodtype“ zu arbeiten, um die Buchstaben wirklich händisch aneinander zu zureihen, um ein anderes Verständnis für Typografie zu bekommen? Oder würdest du sagen, dass ist alles Nostalgie, dass können wir eigentlich alles verfeuern, dass braucht keiner mehr?
RR
Naja, Holzbuchstaben sind rar und es ist schwer damit zu arbeiten. Oft werden Holzbuchstaben mit Farbe in eine Abziehpresse getan und dann gedruckt. Das ist schon ein schönes Experiment. Wer die Gelegenheit hat, sollte mit dem Bleisatz arbeiten. Es ist natürlich eine tolle Gelegenheit in die Geschichte der Typografie einzusteigen.
SM
Wir sind immer noch bei der These: „Schrift ist Information.“ Als ich angefangen habe, mich mit Schrift zu beschäftigen, habe ich festgestellt, dass es unglaublich kompliziert war, den Einstieg zu finden. Zuerst kam ich mit den ganzen Klassifizierungen durcheinander und habe aufgrund der geschichtlichen Entwicklung festgestellt, dass mir diese Geschichten zum Entstehungsprozess sehr gut in Erinnerung geblieben sind.
RR
Das ist sicher richtig und wichtig. Gute Typografie ist sehr komplex. Ich habe zum Beispiel drei Jahre Lehrzeit als Schriftsetzer gehabt. Ich habe drei Jahre lang Typografie gelernt. In Österreich waren es sogar vier Jahre. Heute ist Schrift, Typografie ist demokratisiert worden. Früher haben im Wesentlichen nur Schriftsetzer mit Schrift gearbeitet. Und heute kann quasi jeder mit Schrift am Computer etwas machen und in gewissem Sinn ist diese Freiheit gut und schön. Aber viele Freiheiten bestimmen durchaus die Gefahr, dass sie missbraucht wird und mit der Typografie Dinge gemacht werden, die mit der Funktionalität nichts mehr zu tun haben. Es kann sehr kreativ sein, aber Funktionalität fehlt im Digitalen in der Typografie oft, wenn sie von Nicht-Fachleuten angewandt wird.
SM
Gerade finde ich einen Stil aus Berlin interessant. Dabei geht es darum, Typografie sehr stark zu zerren und zu zerreißen, groß und klein zu machen, sodass man eigentlich die Information kaum lesen kann. Gerade bei Plakaten oder Postern wird das häufig gemacht, sodass man sich fragen muss, was es ist, wann und wo es stattfindet und so weiter. Die Informationsvermittlung ist da gar nicht mehr der Fall, sondern man muss sich die Information aus diesen Plakaten oder Postern herausziehen, indem man sich sehr lange mit ihnen beschäftigt. Wie siehst du das, gerade bei dem Medium Plakat in Bezug auf Informationen?
RR
Es ist nicht gut, wenn wir denken oder glauben, dass Typografie nicht funktionell sein muss. Es gibt natürlich auch eine nicht-funktionelle, eine expressive Typografie und da ist es angebracht. Wenn ich aber mit der Öffentlichkeit kommunizieren will, dann sollte die Lesbarkeit, die Übermittlung der Schrift, das Wichtigste sein.
SM
Also die Information muss dabei einfach im Mittelpunkt stehen?
RR
Sie muss klar herausstechen. Wie gesagt, gibt es da noch eine andere Art, die expressive Typografie, aber das ist etwas ganz Anderes: Kunst um der Kunst willen. Aber Typografie an sich ist im Normalfall funktionell und muss funktionell sein.
SM
Kurt Schwitters hat ja Buchstaben genommen, um seine verschiedenen Geschichten zu erzählen.
RR
Wer nochmal?
SM
Kurt Schwitters, war ein hannoverscher Typograf und Künstler.
RR
Das ist Typografie als Kunst und das hat seine eigenen
SM
Regeln vielleicht?
RR
… seinen eigenen Raum. Aber ich glaube, wir sprechen hauptsächlich von funktioneller Typografie.
SM
Genau, vor allem geht es auch um den Informationsträger. Das Gedicht erzählt eine Geschichte und das sind ja Informationen, die ich wahrnehme. Schwitters hat diese Information auch nochmal in einem Schriftbild experimentell dargestellt und das Ganze ergänzt sich miteinander. Man hat so ein typografisches Bild, das sehr laut ist und schreit. Dazu kommt dann die Kommunikation auf die Information. Sowas würde zum Beispiel, in der Zeitung, nicht so gut funktionieren.
RR
Nein, in der Zeitung wäre dafür kein Platz. Ich kenne diese Arbeit nicht, aber ich bin sicher, dass sie ihre eigene Schönheit hat, ihren eigenen Anspruch. Aber die Zeitung muss sich ja verkaufen und den Leser ansprechen. Das heißt, die Information muss funktionell so lesbar wie möglich übermittelt werden. Für die Zeitung ist es also nicht geeignet, aber für eine andere Dimension sicher etwas Respektables.
SM
Ich habe hier eine Zeitung, die ich dir gerne in die Hand geben würde. Es ist die Tageszeitung „Junge Welt“, die 1975 gegründet wurde. Hier habe ich jetzt die Ausgabe vom Freitag dem 18. Oktober 2019, mit der Nummer 242. Magst du mir diese Zeitung beschreiben?
RR
Es ist eine Tageszeitung und sie entspricht im Wesentlichen, von der Textschrift her, den Ansprüchen und Gesetzen der Lesbarkeit. Ich würde sagen, der Durchschuss ist vielleicht ein bisschen großzügig. In einer Zeitung will man so viele Informationen wie möglich unterbringen, denn das Papier ist ja mit das teuerste Element. Es ist sehr ansprechend, aber von der Funktionalität her könnte man den Durchschuss etwas verringern und würde dann mehr Nachrichten auf der Seite unterbringen. Ansonsten finde ich es interessant gemacht.
SM
Interessant finde ich, dass bestimmte Informationen in Rot dargestellt werden, während die gesamte Zeitung ansonsten in Schwarz gedruckt ist. Das Rot findet sich nur vorne auf dem Deckblatt wieder. Das ist ja auch eine Auszeichnungsfarbe, die aus dem Buchdruck kommt. Wie wurde sie damals eingesetzt?
RR
Ein Zeitungskopf ist eine Marke und hat mit Branding zu tun. Wenn diese „Junge Welt“ nur in Schwarz wäre, Schwarz-Weiß, dann wäre es nicht so interessant und einprägsam wie mit dem Rot.
SM
Also werden die Informationen auch visuell verstärkt. Der Name beispielsweise ist ein Branding, der die Information durch das Rot sozusagen visuell verstärkt.
RR
Richtig.
SM
Dann danke ich dir ich auf jeden Fall für dieses Interview auf der Frankfurter Buchmesse und freue mich, wenn wir in Kontakt bleiben und Holzbuchstaben austauschen.
RR
Ja, wunderbar.
Lesezeit: 00:34:12
Rolf Rehe, Frankfurter Buchmesse
Rolf Rehe arbeitete an der Herron School of Art, USA. Er ist ein international tätiger Zeitungsdesigner, dessen Arbeit ihn bisher in 32 Länder auf allen Kontinenten geführt hat. Zu seinen Neugestaltungen gehören vor allem Tageszeitungen in den USA, Südamerika und in vielen Ländern Europas.
Rehe absolvierte nach Beendigung der Schulzeit eine Ausbildung zum Schriftsetzer beim Haller Tagblatt. Ende der fünfziger Jahre entschloss er sich, in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Dort studierte er visuelle Kommunikation an der Indiana University und arbeitete anschließend zehn Jahre ebendort als Professor. 1979 war er Gründungsmitglied der Society for News Design (SND). Ab 1982 veranstaltete er Seminare zum Thema Zeitungsdesign in Zusammenarbeit mit der IFRA in Darmstadt. Heute lebt Rehe in Wien.
Bereits letztes Jahr 2018 bin ich auf der Frankfurter Buchmesse gewesen, um die Verlagswelt kennen zu lernen und mich weiter im Bereich Buchgestaltung vernetzen zu können. Dabei habe ich die Bekanntschaft mit den Schriftgestaltern von „Monotype“ gemacht. Dieses Jahr beschloss ich, für meine Bachelorarbeit das »typografische Manifest.«, dort ebenfalls mein Glück zu versuchen und neue interessante Ansätze zu sammeln. So startete ich munter und motiviert am Morgen des 18.10.2019 zum Hauptbahnhof Hannover, wo ich den Zug um 04:00 Uhr nach Frankfurt am Main nehmen wollte, welcher jedoch ausgefallen war. Etwas geknickt, jedoch mit voller Motivation, nahm ich einen ICE später und war somit um 10:30 Uhr in Frankfurt am Main und schlug den direkten Weg zur Frankfurter Buchmesse ein.
Dort angekommen, atmete ich erstmal tief durch und verschaffte mir einen Überblick. Mein erstes Anlaufsziel war die Halle 4.1. Dort suchte ich die Typonerds von „Monotype“ in diesem Jahr vergeblich. Um mich aufzuheitern, durchstöberte ich am Indiecon Island Stand die dort liegenden Magazine, welche immer sehr interessant gestaltet sind. Hier kam ich ins Gespräch mit Andreas Hüllinghorst, der für die Tageszeitung „Die Junge Welt“ arbeitet und tauschte erste Informationen mit ihm aus. Anschließend fand ich ein ruhiges Plätzchen am Stand der Stiftung Buchkunst, wo ich mir weitere Bücher anschaute. Da erblickte ich den Stand vom Leipziger Buchdruckmuseum, welchen ich mit forschen Schritten aufsuchte. Während ich mich noch grübelnd vom Stand beeindrucken ließ, wurde ich von einer Dame angesprochen, welche an diesem Stand arbeitete. Sie stellte sich mir als Direktorin Dr. Susanne Richter vor und ist die Leiterin des Leipziger Buchdruckmuseums. Ich erzählte ihr, dass ich jeden Mittwoch in Hannover im Buchdruck Museum arbeite. In diesem Zusammenhang berichtete ich ihr von meinem Buch „Die schwarze Kunst“, welches über die dortige Arbeit, das alte Handwerk des Bleisatzes erzählt, sowie den Erhalt dieses Wissens. Dies fand sie sehr spannend, da sie es selber besonders wichtig findet, dass dieses Wissen weiter erhalten bleibt und an nachfolgende Generationen weitergegeben wird.
Nach diesem Gespräch startete ich mit neuer Energie und neuem Ziel weiter meine Suche. Kurz darauf entdeckte ich – versteckt an einem kleinen, unscheinbaren Stand, der umringt von vielen bunten, zu Bildern geformten Holzbuchstaben bestand – eine Person: Rolf Rehe. Ich erzählte ihm kurz und kompakt von meiner Bachelorarbeit und fragte ihn direkt nach einem Interview für diese. Rolf Rehe war sofort begeistert und wir verabredeten uns für 16:00 Uhr. Schlauerweise hatte ich mein gesamtes Audioequipment eingepackt, sodass dies, von meiner Seite aus, sofort hätte starten können. Ich nutzte die mir noch verbleibende Zeit, um mehr über ihn in Erfahrung zu bringen und recherchierte auf meinem Smartphone die wichtigsten Daten und Fakten. Während ich am Testen meines Mikrofons war, letzte Einstellungen vornahm, setzte sich eine Dame zu mir, welche sich als Frau Elisabeth Pfisterer, Sprachwissenschaftlerin und Fördermitglied des Klingspor Museums aus Offenbach, vorstellte. Wir kamen schnell ins Gespräch und ich erzählte ihr von meiner Bachelorarbeit und was dahintersteckt. Während unseres Gesprächsabschlusses, lud sie mich auf eine heutige Abendveranstaltung im Klingspor Museum ein, welcher ich zusagte. So verflog die Zeit und als wir unser Gespräch beendeten, war ich noch mehr bestärkt darin, meine Bachelorarbeit als Manifest zu verfassen.
Nun nahm ich meine Recherche zu Rolf Rehe wieder auf und stieß glücklicherweise auf einen Wikipedia Eintrag von ihm. Somit hatte ich in kürzester Zeit seinen gesamten Lebenslauf zur Hand und konnte mir dazu passend Fragen für das in Kürze stattfindende Interview zurecht suchen …
SM
Rolf Rehe arbeitete an der Herron School of Art in den USA. Er ist ein international tätiger Zeitungsdesigner, dessen Arbeit ihn bisher in 32 Länder auf allen Kontinenten geführt hat. Zu seinen Neugestaltungen gehören vor allem Tageszeitungen in den USA, Südamerika und in vielen Ländern Europas.
Hallo Rolf! Schön, dass du heute hier auf der Frankfurter Buchmesse bist, wo wir uns kennengelernt haben. Meine erste Frage lautet, ob Zeitung auch noch im Print Bereich bestehen muss oder eigentlich nur noch ein digitales Produkt werden wird?
RR
Ja, es gibt ja diesen Slogan: „Print is dead. Print is not dead and print will never die.“ Bei Zeitungen gehen die Auflagen überall zurück, da ist gar kein Zweifel. Ich sehe es so, dass Zeitungen mehr interpretativ werden, denn im Fernsehen oder im Web kann man Nachrichten sofort erhalten. Die Distanz der Zeitung zum Bestehenden ist zu groß, denn sie muss ja gesetzt und gedruckt werden. Aber ich glaube, es wird zwei Arten von Zeitungen geben, die weiter bestehen bleiben: Zum Einen die etwas intellektuelleren Zeitungen und dann wahrscheinlich auch Boulevardzeitungen, wahrscheinlich in letzterem Fall in Form von Gratiszeitungen.
SM
Aha, in denen dann wahrscheinlich Werbung abgedruckt ist, damit es sich refinanzieren kann.
RR
Ja, durch Werbung finanziert.
SM
In meiner Arbeit das »typografische Manifest.« habe ich auch eine These zu diesem Bereich und zwar: „Schrift ist Information.“ Wie siehst du das? Eine Zeitung ist ja ein reiner Informationsträger.
RR
Naja, die Zeitung braucht zwei Dinge in der Gestaltung: einerseits muss sie so einladend gestaltet sein, dass man wirklich in die Seite einsteigen und sie lesen will und dann muss die Schrift maximal lesbar sein. Es ist wichtig, dass man eine sehr gute Schrift, eine spezielle Zeitungsschrift sorgfältig auswählt und vor allem auch die Schriftgröße nicht zu klein ist.
SM
Das ist interessant, denn meine zweite These lautet: „Schrift ist Funktion oder muss funktional sein.“ Das beschreibt genau das, was du sagst. Sie dient einem bestimmten Zweck. Ich habe festgestellt, dass es auch Schriften gibt, die ökologisch sind. Das heißt, dass mit diesen Schriften Druckertinte eingespart werden kann. Ist das interessant für eine Zeitung, auch wirtschaftlich gesehen?
RR
Das glaube ich nicht, denn die Einsparung ist minimal. Mir fällt da eine kleine Anekdote ein, dass die Zeitung »New York Times« viele Jahre lang traditionsgemäß als Namenszug „The New York Times.“ mit einem, den Satz abschließenden, Punkt hatte. Da wurde lange in der Zeitungsredaktion diskutiert, ob man diesen Punkt weglassen sollte. Es waren nicht alle dafür, aber die Befürworter, dass man den Punkt weglassen sollte, haben argumentiert, dass man dadurch Druckerfarbe sparen würde. Aber die Einsparung ist natürlich so minimal, dass dieses Argument keinen richtigen Wert hat.
SM
Schon fast banal.
RR
Ja.
SM
Wenn ich mir die Schriftentwicklung so ansehe, fällt mir auf, dass die Minuskel damals zu Zeiten der Römer und Griechen sich weiterentwickeln musste. Ich habe festgestellt, dass es daraufhin immer mehr Auszeichnungen, also Kursivschrift, Unterstrichen, Bold, Light, verschiede Schrift-Schnitte etc. gab. Wie wichtig sind diese typografischen Hervorhebungen für die Zeitung, insbesondere für die Information, die damit herausgearbeitet und dadurch fokussiert werden kann? Wie wichtig sind dir Auszeichnungen im Zeitungssatz?
RR
In der Zeitung sind sie wichtig. Wir müssen natürlich unterscheiden zwischen Boulevardpresse, Bildzeitung… Aber eine seriöse Zeitung braucht vielleicht eine fette Schrift, damit man zum Beispiel im Text etwas Fettes oder ein Zitat herausstellen kann. Kursiv kann man auch verwenden, aber es gibt Untersuchungen, dass kursiv schlechter lesbar ist. Und Unterstreichungen würde ich persönlich nicht benutzen. Ich finde sie nicht anklingend oder ansprechend für das Auge, aber es ist schon wichtig, dass man lange Textwüsten vermeidet.
SM
Im Bleisatz sagt man klassischerweise ja auch Bleiwüsten dazu.
RR
Zwischentitel und vor allem auch Absätze sind wichtig. Es gibt Lesbarkeitsstudien, die zeigen, dass Absätze wichtig sind, was ja auch Sinn macht. Wenn ich eine ganz lange Spalte ohne einen Absatz habe, dann ist das nicht so ansprechend. Bei einem Absatz wird ja meist in einer nicht gefüllten Zeile Weißraum erzeugt. Weißraum ist auch sehr wichtig.
SM
Die erste Zeile wird oft mit einem Geviert eingerückt.
RR
Genau, so ist es.
SM
War es früher auch im Bleisatz so?
RR
Der Einzug ist sehr wichtig. In der Typografie sind so viele kleine Dinge wichtig und ein eingeführter Einzug am Anfang eines Absatzes ist sehr wichtig und schafft dadurch einen Weißraum für das Auge.
SM
Du hast ja damals eine Ausbildung als Schriftsetzer absolviert und ich habe mich jetzt ganz viel mit Schrift auf Displays beschäftigt. Das heißt, die müssen ja auch noch einmal speziell angepasst werden, zum Beispiel um Informationen von „Die Zeit“ etc. der digitalen Zeitung anzuzeigen und damit zu agieren. Wie hat sich die Schrift im Laufe der Zeit verändert?
RR
Naja, im Wesentlichen hat sich die Schrift bemerkenswerterweise nicht dramatisch verändert. Gehen wir zurück zu Gutenberg, der zunächst Frakturschriften verwendet hat, weil er die handgeschriebenen Bücher der Mönche so nachvollziehen wollte. Dann kamen früher oder später die Antiquaschriften, Franzosen, Germanen und Italiener und so weiter. Diese Schriften sind von den Grundzügen her noch genauso schön und genauso funktionell wie damals. Heute kann man die Buchstabenzwischenräume etwas enger machen, wenn gewünscht. Man kann die Schrift digital etwas verengen und so weiter. Die klassischen Antiquaschriften gehen auf die Zeit nach Gutenberg zurück, aber auch die Römer hatten schon eine bekannte „Trojanische Kolumne“, in der sie auch schon Schriften verwendeten. Das war allerdings nur Versal, aber sie sind auch heute noch so schön wie damals. Und für manche Schriften-Designer sind sie Vorbilder.
SM
Auch Inspirationsquelle: Man guckt ja auch, was es gab, was es heute gibt etc. pp. Ich würde dir gerne einen haptischen Buchstaben geben. Nimm den bitte in die Hand und beschreibe, was du dabei spürst und was du darüber denkst.
RR
Zum einen ist es ein schöner Holzbuchstabe, ein kleines „c“. Aber ich finde im Vergleich zu den Bleibuchstaben, die ja in der Bleisatzzeit prävalent waren, hat das Holz eine Wärme, es hat eine Ausstrahlung. Es hat vom Material her eine gewisse Emotionalität, die Bleisatzbuchstaben, aus meiner Sicht, nicht haben. Deswegen mache ich ja meine Holzbuchstaben-Collagen und Buchstabenbilder, weil ich dieses Gefühl der Wärme, das Emotionelle vom Holz sehr schätze.
SM
Und sie sind natürlich auch deutlich wärmer, wenn sie in der Hand liegen. Ich habe im Buchdruck Museum eine Diskussion darüber geführt, dass Holz ein Naturstoff ist, der immer noch arbeitet und sich verändert. Wir haben vor kurzem neue Buchstaben bekommen, die etwas feucht waren und dann ganz vorsichtig nachgetrocknet werden mussten, damit sie zum Beispiel nicht reißen.
RR
Die Holzbuchstabenproduktion kommt ja grundsätzlich aus den USA. Gutenberg hat zwar schon mit Holzbuchstaben experimentiert, aber eigentlich hat die Holzbuchstabenzeit im 19. Jahrhundert in den USA angefangen. Und aus den unterschiedlichen Hölzern, aus denen man die Holzbuchstaben machte, wurden zunächst Blöcke hergestellt, die ganz früher für zwei Jahre noch in der Natur draußen getrocknet wurden. Auch später musste ein guter Holzbuchstabe im Raum immer noch ein Jahr getrocknet werden. Ich habe mal vor einiger Zeit einen großen Holzbuchstaben von 30 bis 35 Zentimeter in England gekauft, bei dem man gemerkt hat, dass er nicht lange genug getrocknet wurde, denn er war ein bisschen gebogen. Das Holz hat sich nach der Herstellung des Buchstabens, wie du gesagt hast, noch bewegt.
SM
Mein »typografisches Manifest.« ruft dazu auf oder fordert alle auf, den zweidimensionalen Raum am Monitor zu verlassen, also wieder in den dreidimensionalen Raum zu gehen, gerade auch mit diesen physischen Buchstaben. Wie siehst du das heutzutage, auch im Hinblick auf die Studierenden im Grafikdesign oder der Visuellen Kommunikation?
RR
Wie meinst du das?
SM
Würdest du Studierenden heutzutage empfehlen, wieder mit „Woodtype“ zu arbeiten, um die Buchstaben wirklich händisch aneinander zu zureihen, um ein anderes Verständnis für Typografie zu bekommen? Oder würdest du sagen, dass ist alles Nostalgie, dass können wir eigentlich alles verfeuern, dass braucht keiner mehr?
RR
Naja, Holzbuchstaben sind rar und es ist schwer damit zu arbeiten. Oft werden Holzbuchstaben mit Farbe in eine Abziehpresse getan und dann gedruckt. Das ist schon ein schönes Experiment. Wer die Gelegenheit hat, sollte mit dem Bleisatz arbeiten. Es ist natürlich eine tolle Gelegenheit in die Geschichte der Typografie einzusteigen.
SM
Wir sind immer noch bei der These: „Schrift ist Information.“ Als ich angefangen habe, mich mit Schrift zu beschäftigen, habe ich festgestellt, dass es unglaublich kompliziert war, den Einstieg zu finden. Zuerst kam ich mit den ganzen Klassifizierungen durcheinander und habe aufgrund der geschichtlichen Entwicklung festgestellt, dass mir diese Geschichten zum Entstehungsprozess sehr gut in Erinnerung geblieben sind.
RR
Das ist sicher richtig und wichtig. Gute Typografie ist sehr komplex. Ich habe zum Beispiel drei Jahre Lehrzeit als Schriftsetzer gehabt. Ich habe drei Jahre lang Typografie gelernt. In Österreich waren es sogar vier Jahre. Heute ist Schrift, Typografie ist demokratisiert worden. Früher haben im Wesentlichen nur Schriftsetzer mit Schrift gearbeitet. Und heute kann quasi jeder mit Schrift am Computer etwas machen und in gewissem Sinn ist diese Freiheit gut und schön. Aber viele Freiheiten bestimmen durchaus die Gefahr, dass sie missbraucht wird und mit der Typografie Dinge gemacht werden, die mit der Funktionalität nichts mehr zu tun haben. Es kann sehr kreativ sein, aber Funktionalität fehlt im Digitalen in der Typografie oft, wenn sie von Nicht-Fachleuten angewandt wird.
SM
Gerade finde ich einen Stil aus Berlin interessant. Dabei geht es darum, Typografie sehr stark zu zerren und zu zerreißen, groß und klein zu machen, sodass man eigentlich die Information kaum lesen kann. Gerade bei Plakaten oder Postern wird das häufig gemacht, sodass man sich fragen muss, was es ist, wann und wo es stattfindet und so weiter. Die Informationsvermittlung ist da gar nicht mehr der Fall, sondern man muss sich die Information aus diesen Plakaten oder Postern herausziehen, indem man sich sehr lange mit ihnen beschäftigt. Wie siehst du das, gerade bei dem Medium Plakat in Bezug auf Informationen?
RR
Es ist nicht gut, wenn wir denken oder glauben, dass Typografie nicht funktionell sein muss. Es gibt natürlich auch eine nicht-funktionelle, eine expressive Typografie und da ist es angebracht. Wenn ich aber mit der Öffentlichkeit kommunizieren will, dann sollte die Lesbarkeit, die Übermittlung der Schrift, das Wichtigste sein.
SM
Also die Information muss dabei einfach im Mittelpunkt stehen?
RR
Sie muss klar herausstechen. Wie gesagt, gibt es da noch eine andere Art, die expressive Typografie, aber das ist etwas ganz Anderes: Kunst um der Kunst willen. Aber Typografie an sich ist im Normalfall funktionell und muss funktionell sein.
SM
Kurt Schwitters hat ja Buchstaben genommen, um seine verschiedenen Geschichten zu erzählen.
RR
Wer nochmal?
SM
Kurt Schwitters, war ein hannoverscher Typograf und Künstler.
RR
Das ist Typografie als Kunst und das hat seine eigenen
SM
Regeln vielleicht?
RR
… seinen eigenen Raum. Aber ich glaube, wir sprechen hauptsächlich von funktioneller Typografie.
SM
Genau, vor allem geht es auch um den Informationsträger. Das Gedicht erzählt eine Geschichte und das sind ja Informationen, die ich wahrnehme. Schwitters hat diese Information auch nochmal in einem Schriftbild experimentell dargestellt und das Ganze ergänzt sich miteinander. Man hat so ein typografisches Bild, das sehr laut ist und schreit. Dazu kommt dann die Kommunikation auf die Information. Sowas würde zum Beispiel, in der Zeitung, nicht so gut funktionieren.
RR
Nein, in der Zeitung wäre dafür kein Platz. Ich kenne diese Arbeit nicht, aber ich bin sicher, dass sie ihre eigene Schönheit hat, ihren eigenen Anspruch. Aber die Zeitung muss sich ja verkaufen und den Leser ansprechen. Das heißt, die Information muss funktionell so lesbar wie möglich übermittelt werden. Für die Zeitung ist es also nicht geeignet, aber für eine andere Dimension sicher etwas Respektables.
SM
Ich habe hier eine Zeitung, die ich dir gerne in die Hand geben würde. Es ist die Tageszeitung „Junge Welt“, die 1975 gegründet wurde. Hier habe ich jetzt die Ausgabe vom Freitag dem 18. Oktober 2019, mit der Nummer 242. Magst du mir diese Zeitung beschreiben?
RR
Es ist eine Tageszeitung und sie entspricht im Wesentlichen, von der Textschrift her, den Ansprüchen und Gesetzen der Lesbarkeit. Ich würde sagen, der Durchschuss ist vielleicht ein bisschen großzügig. In einer Zeitung will man so viele Informationen wie möglich unterbringen, denn das Papier ist ja mit das teuerste Element. Es ist sehr ansprechend, aber von der Funktionalität her könnte man den Durchschuss etwas verringern und würde dann mehr Nachrichten auf der Seite unterbringen. Ansonsten finde ich es interessant gemacht.
SM
Interessant finde ich, dass bestimmte Informationen in Rot dargestellt werden, während die gesamte Zeitung ansonsten in Schwarz gedruckt ist. Das Rot findet sich nur vorne auf dem Deckblatt wieder. Das ist ja auch eine Auszeichnungsfarbe, die aus dem Buchdruck kommt. Wie wurde sie damals eingesetzt?
RR
Ein Zeitungskopf ist eine Marke und hat mit Branding zu tun. Wenn diese „Junge Welt“ nur in Schwarz wäre, Schwarz-Weiß, dann wäre es nicht so interessant und einprägsam wie mit dem Rot.
SM
Also werden die Informationen auch visuell verstärkt. Der Name beispielsweise ist ein Branding, der die Information durch das Rot sozusagen visuell verstärkt.
RR
Richtig.
SM
Dann danke ich dir ich auf jeden Fall für dieses Interview auf der Frankfurter Buchmesse und freue mich, wenn wir in Kontakt bleiben und Holzbuchstaben austauschen.
RR
Ja, wunderbar.